1909 bis 1931
Die Ära Christian Schetting

„Dem ehrgeizigen Manne, der schon als Kapellmeister in dem berühmten Zirkus Buffalo Bill des Obersten Cody den Ton angab und die halbe Welt bereiste, schwebten neue Pläne vor.“
Am 27. Januar 1909 wurde zwischen dem Vorsitzenden des Knappschaftsvereins, dem königlichen Bergmeister Max Fischer zu St. Ingbert einerseits und dem Musiklehrer Christian Schetting andererseits ein Vertrag abgeschlossen, der u. a. folgendes festlegte:

„Die Knappschaft der königlichen Steingrube stellt genannten Christian Schetting vom 1. Februar 1909 als ihren Musikmeister auf und hat derselbe mit diesem Tage die Leitung der Kapelle zu übernehmen. Der Musikmeister hat wöchentlich drei Proben abzuhalten, die Stimme auszuschreiben, junge Leute als Ersatz für ältere Musiker heranzubilden und überhaupt alles zu besorgen, was einer tüchtigen Ausbildung der Musik nötig oder nützlich ist. Ferner hat derselbe die Instandhaltung des Musikinventars zu überwachen und ist für das ihm übergebene Inventar verantwortlich. Der Musikmeister ist dem königlichen Bergamte unterstellt und hat dessen Beamten die gebührende Achtung zu erweisen.
Kapellmeister Schetting
Kapellmeister Schetting
Ungehörigkeiten der Musiker, Fehlen bei den Proben sind dem Bergamte anzuzeigen, welches nach Maßgabe des Strafreglements für Musiker einschreiten wird. Bei allen Festlichkeiten und Feierlichkeiten der Knappschaft, bei Leichenbegängnissen von Knappschaftsgenossen hier und auswärts und so oft das königliche Bergamt sonst das Spielen der Bergmusik anordnet, hat der Musikmeister mitzuwirken. Bei anderen knappschaftlichen Festen und Gelegenheiten mit der Bergmusik zu spielen, ist dem Musikmeister nur nach vorheriger Erlaubnis des königlichen Bergamtes gestattet.
Der Musikmeister hat sich auf seine Kosten eine Bergmannsuniform anzuschaffen und dieselbe bei bergmännischen Aufzügen zu tragen. Das erste halbe Jahr der Musikleitung wird als Probezeit betrachtet, entsprechen die Leistungen, so soll am 1. August 1909 das Engagement als fest betrachtet werden, doch kann dieser Vertrag nach vorausgegangener vierteljähriger Kündigung von beiden Seiten gelöst werden.“

Zirkus und neue Pläne

Da aber keiner der Vertragsabschließenden von dem Kündigungsrecht Gebrauch machte, wurde der 58jährige Christian Schetting als Kapellmeister der Bergkapelle definitiv ab 1. August 1909 angestellt. Der neue Mann fand bei der Übergabe der Kapelle ein leistungsstarkes Musikkorps vor, das sich längst Achtung und Geltung verschafft hatte. Er hätte die Kapelle im Sinne seines Vorgängers weiterführen können, doch dem ehrgeizigen Manne, der schon als Kapellmeister in dem berühmten Zirkus Buffalo Bill des Obersten Cody den Ton angab und die halbe Welt bereiste, schwebten neue Pläne vor. Selbst vorzüglicher Klarinettist, verstärkte er vor allem den Holzsatz der Kapelle und führte die tiefen Stimmen ein.

1909
1909 | Bergkapelle unter Dirigent Schetting (Foto Stadtarchiv W. Zeiger)

Bergfeste im Rischbachwald

Fortschrittliche Leistungen und vermehrter Holzsatz ließen auch eine zahlenmäßig erhöhte Stärke der Kapelle zu. Arbeitsreiche Tage für die Bergmusiker und ihren Dirigenten waren die alljährlich stattfindenden Bergfeste im Rischbachwald. Über den Ursprung und die Einführung dieses bergmännischen Festes liegen keine genauen Daten vor. Es soll angeblich von dem damaligen König Max II. eingeführt worden sein. Auch bei sonstigen Festlichkeiten und Veranstaltungen, seien sie religiöser oder auch vaterländischer Natur gewesen, war die Bergmusik immer dabei.
Aus Anlass des Geburtstages seiner königlichen Hoheit des Prinzregenten Luitpold von Bayern lud die Knappschaft St. Ingbert am 12. März 1912 zu einer patriotischen Kundgebung im Karlsbergsaal ein. Eröffnet wurde die Feier von der Bergkapelle unter Leitung von Kapellmeister Schetting mit dem Krönungsmarsch aus der Oper „Die Folkunger“. Die von vaterländischem Geist getragene Feier endete mit dem Schlussmarsch „Ein strammes Regiment“ von Kutschera.

Durchhalten während der Kriegswirren

Ein strammes Regiment führte auch Kapellmeister Schetting bis ins erste Kriegsjahr 1914. Viele seiner Musiker mussten den schwarzen Bergmannskittel mit dem feldgrauen Rock vertauschen und ins Feld ziehen. Zurückgeblieben waren nur die älteren Jahrgänge. Die Musikproben fielen aus. Nach einiger Zeit fanden sich doch wieder Musiker zusammen und hielten während des ganzen Krieges durch. Sie spielten bei Beerdigungen verstorbener Bergleute, gaben auch in den Lazaretten verstorbenen Soldaten das letzte Geleit und erbauten mit vielen Konzerten die verwundeten Soldaten. Vier Musiker sind aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr heimgekehrt. Jakob Schmitt, der Solotrompeter, verlor das Augenlicht, aber gestützt und geführt von seinen Musikkameraden war er in vielen Konzerten der Nachkriegszeit noch zu hören.
Nach Kriegsende war es allerdings schwer, die Kapelle wieder auf den alten Stand zu bringen. Bei manchen Musikern fehlte die Lust zum Musizieren und im Allgemeinen war die wirtschaftliche Lage nicht gerade zum Trompetenblasen.

Die Grube St. Ingbert wird französisch

Wir schrieben das Jahr 1920. Die Grube St. Ingbert kam wie alle anderen Saargruben in französischen Besitz. Gleich den übrigen Grubenkapellen sollte auch die von St. Ingbert nun Werkskapelle werden. Die Musik- und Unterstützungskasse war auch geneigt, dem neuen Werkseigentümer unter bestimmten Bedingungen ihre Kapelle abzutreten:
  • An der Uniform, wie sie jetzt getragen wird, wird keine Änderung vorgenommen.
  • Eine wesentliche Reduzierung der Bergkapelle ist nicht beabsichtigt. Sollten derzeitige Mitglieder, die als nicht geeignet aus dem Korps ausscheiden, so ist durch entsprechenden Nachwuchs die effektive Stärke zu ergänzen.
  • Die Generaldirektion verpflichtet sich, die Bergkapelle bei allen kirchlichen und bergmännischen Festlichkeiten, wie Fronleichnamstag und Barbarafest, wie bisher üblich, unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.
  • Die Bergkapelle hat wie bisher, auf Verlangen der Angehörigen, an den Beerdigungen von aktiven und pensionierten Bergleuten teilzunehmen.
  • Die Bergkapelle ist verpflichtet, der Belegschaft, wie bisher, Konzerte zu spielen und zwar sollten mindestens zwei Konzerte in St. Ingbert und zwei Konzerte außerhalb St. Ingberts in den größeren Bergmannsdörfern stattfinden.
  • Der Kapelle ist nach wie vor erlaubt, bei öffentlichen Festlichkeiten usw. und auf Anruf wie bisher, gegen Entschädigung mitzuwirken.
  • Die Kapelle soll nach wie vor den Namen Bergkapelle tragen.
  • Die Musikinstrumente, sowie das sonstige Inventar, wie es gegenwärtig vorhanden ist, wird dem Werksbesitzer übergeben. Verzeichnis erhält der Werksbesitzer und Verwaltungsausschuss.
  • Der Werksbesitzer verpflichtet sich, die Instrumente und das Inventar, insoweit dieselben einer Abnutzung unterworfen sind, zu ergänzen und im Übrigen alles in demselben Zustand zu erhalten, in dem es sich zur Zeit der Übergabe befindet.
  • Die Musikinstrumente und das Inventar bleiben Eigentum der Musikkasse.
Bei Gewährung dieser Forderungen ist anderseits der Verwaltungsausschuss bereit, die ihm durch notariellen Vertrag zugesicherten Rechte, wie Probesaal und Musikmeisterwohnung als solche unentgeltlich auf die Dauer gegenwärtigen Übereinkommens zur Verfügung zu stellen.
Die französische Grubenverwaltung sah sich jedoch außerstande, die Forderungen des Verwaltungsausschusses in ihrer Gesamtheit anzunehmen. Für die neue Grubenleitung konnte es sich nur darum handeln, Eigentümer der Bergkapelle zu werden, wie dies auch bei anderen Saargruben der Fall war. Die Grube war aber bereit, die der Musikkasse gehörenden Musikinstrumente und Zubehör käuflich zu erwerben.

Einzige selbständige Grubenkapelle an der Saar

Beide Parteien gelangten leider zu keiner Einigung. So blieb die Bergkapelle St. Ingbert, als einzige Grubenkapelle an der Saar, selbständig. Da bei der früheren bayerischen Verwaltung der jeweilige Amtsvorstand der Grube auch Vorsitzender der Musikkasse gewesen war, musste durch die neuen Verhältnisse ein Vorstand aus den Reihen der Mitglieder gewählt werden. Die französische Grubenverwaltung stand der Unterstützungskasse als soziale Einrichtung der Bergleute nicht im Wege. Sie zeigte sich sogar geneigt, die Mitgliedsbeiträge wie bisher vom Lohn der Arbeiter zugunsten des sozialen Unterstützungswerkes einzubehalten. So verlief die Entwicklung reibungslos bis zum 1. August 1925.
Nach dieser Zeit verweigerte die Werksleitung den weiteren Abzug der Mitgliedsbeiträge vom Lohn der Arbeiter. Die Verwaltung begründete diese Maßnahme mit der starren Haltung der Unterstützungskasse, weil diese es immer noch ablehne, die Bergmusik der Werksleitung zu unterstellen.

1927
1927 | Bergkapelle unter Dirigent Schetting

Differenzen und Wegfall der Probengelder

Auch innerhalb der Kapelle selbst kam es zu Differenzen, die mit dem Austritt einiger Mitglieder aus der Bergmusik endeten. Denn aus verschiedenen Gründen und Erwägungen waren einige Musiker dafür, dass die Bergkapelle als Werkskapelle geführt werde. Die Mehrheit der Musiker selbst entschied sich auch weiterhin für eine selbständige Knappschaftskapelle innerhalb der Musik und Unterstützungskasse.
Die Folgen sollten sich alsbald bemerkbar machen. Mit dem Wegfall der Probengelder nahmen die Korpsmitglieder den Probenbesuch nicht mehr allzu ernst. Mitunter fehlte mehr als die Hälfte der Musiker. Wechselschicht und nachlassendes Interesse brachten die Existenz der Bergmusik in große Gefahr.
Musikmeister Schetting hatte seine liebe Not. Er bat den Verwaltungsausschuss, Maßnahmen ergreifen zu dürfen, um diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Nur bei honorierten Konzerten und Aufzügen waren die Musiker komplett zur Stelle. Im Juli 1929 feierte die Bergkapelle ihr 90jähriges Bestehen und nahm im August desselben Jahres an einem mehrtägigen Fest teil, das aus Anlass der 100jährigen Wiederkehr der Stadtwerdung St. Ingberts in der Festhalle bei der ehemaligen Aktienglashütte stattfand.

1928
1928 | Bergkapelle unter Dirigent Schetting

Ruhestand und Krankheit

Seit einiger Zeit fühlte sich Musikmeister Schetting gesundheitlich nicht mehr wohl. Mit Rücksicht darauf und wegen seines hohen Alters beschloss der Ausschuss der Unterstützungskasse, Kapellmeister Schetting ab dem 1. Mai 1931 in den Ruhestand zu versetzen. Leider war dem alten Herrn ein geruhsamer Lebensabend nach seiner Pensionierung nicht mehr beschieden. Nach langem Krankenlager starb er am 19. Januar 1934 im Alter von 81 Jahren. 23 Jahre war er der Bergkapelle ein vorzüglicher Leiter gewesen. Mit großer Liebe hing er an seinem Beruf, der ihm mitunter recht schwer gemacht worden war.