1945 bis 1963
Die Ära Engelbert Wild

„Es ist dem Kapellmeister Engelbert Wild zu danken, dass die Bergmusik nach Aufgabe des Grubenbetriebes nicht in sich zusammenfiel.“
Die Kohlengrube, die ihre Wiederaufnahme der Förderung der allgemein herrschenden Kohlennot verdankte, wartete auf die Rückkehr ihrer Belegschaftsmitglieder. Wie alle anderen Saargruben unterstand auch die von St. Ingbert der amerikanischen Militärverwaltung. Am 1. Januar 1948 übernahm die Regie des Mines de Ia Sarre alle Güter und Rechte der in Liquidation befindlichen Saargruben-AG. Die französische Grubenverwaltung war an einer Weiterführung der Grube nicht allzu sehr interessiert, da sie von deren Unwirtschaftlichkeit überzeugt gewesen war. Es wurden in der Mehrzahl auch nur solche Flöze in Angriff genommen, die ohne große Kosten eine hohe Förderleistung gewährleisteten. Dank der Bemühungen des Obersteigers Köhl und der tatkräftigen Mitarbeit des Bergmusikers Wild gelang im Jahre 1946 die Wiederbelebung der Bergkapelle.
Kapellmeister Wild
Kapellmeister Wild


Im Eigentum der neuen französischen Grubenverwaltung

Die Mitglieder der Kapelle trafen sich im Bergmannsheim, um über das künftige Schicksal der Bergmusik zu beraten. Die frühere Musik- und Unterstützungskasse konnte darüber nicht mehr befragt werden, denn sie hatte ja ihre Eigentumsrechte an der Bergkapelle 1935 abgegeben. Die neue französische Grubenverwaltung stand der Bergkapelle - aus bereits früher gemachten Erfahrungen - etwas skeptisch gegenüber. Wollte die Bergmusik wieder aktiv werden, musste sie unter den neu geschaffenen Verhältnissen eben Werkskapelle bleiben, da ja Musikinstrumente, Uniformen und sonstiges Inventar als Eigentum der früheren deutschen Saargruben-AG in den nunmehrigen Besitz der neuen französischen Grubenverwaltung übergingen. Zu klären war auch noch die Besetzung der Korpsleiterstelle, die durch die zwangsweise Entfernung des bisherigen Kapellmeisters Möbius frei geworden war.

Ein Korpsmitglied wird Kapellmeister

Die Versammlung einigte sich auf den bisherigen Trompeter der Kapelle, Engelbert Wild. Ein bisheriges Korpsmitglied wurde zum neuen Leiter der Bergkapelle. Wild entstammte einer Bergmusikerfamilie, die unmittelbar neben dem Probelokal der Bergkapelle in der jetzigen Barbarastraße ihren Wohnsitz hatte. So konnten die täglichen häuslichen Musikproben des Vaters Peter Wild und die wöchentlichen Gesamtkorpsproben der Bergkapelle auf den jungen Engelbert nicht ohne Einfluss bleiben. Geboren am 07.11.1905 kam er am 11.01.1921 mit 15 Jahren zur Grube St. Ingbert und durchlief die Laufbahn vom Schlepper zum Kohlenhauer. Mit dem Tage seiner Arbeitsaufnahme bei der Grube war Wild bereits schon Lehrling bei der Bergkapelle und wurde unter Schettings Leitung ein vortrefflicher Musiker (Trompeter). Im Jahre 1927 von der Grube abgekehrt, ließ er sich als Musiker bei einer Zirkuskapelle etliche Monate Zirkusluft um die Nase wehen und sammelte reiche Erfahrungen und Kenntnisse, die ihm in der späteren Ausübung seiner musikalischen Tätigkeit sehr von Nutzen waren. Das Jahr 1929 sah Wild wieder bei der Bergkapelle und der Grube. Auch an der Gründung des städtischen Orchesters unter Otto Klein war Wild maßgeblich beteiligt. Während des Zweiten Weltkrieges gehörte er zeitweilig einer Militärkapelle an. Auch in jahrzehntelanger Tätigkeit als Gastwirt blieb er seiner Kapelle treu. Bei seiner Berufung zum Leiter der Bergkapelle gehörte Wild nicht zur Grubenbelegschaft. Die Bergkapelle aber, als weiteres Glied in der Kette der übrigen Grubenkapellen, unterstellte sich der französischen Grubenverwaltung. Diese war nun rechtmäßiger Besitzer der Bergkapelle geworden. Uniformkosten und Beschaffung von Musikinstrumenten gingen zu Lasten des Werksbesitzers, der auch den Musikern die Probengelder bezahlte. Beide Parteien gaben sich redlich Mühe um gute Zusammenarbeit.

1948
1948
1948 | Bergkapelle unter Dirigent Wild

Ein Skandal im Rischbachwald - ohne Folgen

Im Rischbachwald kamen die traditionellen Bergmannsfeste wieder zu Ehren. Es schien, als sei die Bergmusik im alten Element, als müsste alles so werden, wie es einmal gewesen war. Als am Bergfest 1948 im buntbelebten Rischbachwald, inmitten einer rauschenden Waldkulisse und tausenden Festteilnehmern die Bergkapelle unter Engelbert Wild das alte Bergmannslied „Glück auf der Steiger kommt“ zu spielen begann, sang die fröhliche Volksmenge, in Verkennung des Liedtextes, spontan den Text des Saarliedes („deutsch ist die Saar“). Das ungewollte Vorkommnis war für das Verhältnis zwischen Verwaltung und Bergkapelle ein schwerer Schlag. Das Ende der Bergkapelle schien gekommen zu sein. Mit Rücksicht aber auf das mehr als hundertjährige Bestehen der Kapelle und aufgrund der Fürsprache des Obersteigers ließen die französischen Saarbergwerke die St. Ingberter Bergkapelle noch so „mitlaufen“, ohne sie jedoch sonderlich zu fördern. Ihre weitere Existenz war ja doch nur noch eine Frage der Zeit. Mit einer eventuellen Schließung der Grube musste praktisch ja auch das Ende der Bergkapelle kommen. Erfreulicherweise war nach dem Bergfest 1948 ein Niedergang in der Tätigkeit der Bergkapelle nicht eingetreten, denn zwei weitere Bergfeste in den nächsten Jahren schlossen sich an. Konzerte im Weindorf Kröv an der Mosel, in Bad Dürkheim beim Wurstmarkt und viele Belegschaftskonzerte in St. Ingbert und in größeren Bergmannsdörfern gaben Zeugnis, dass es dem Dirigenten Engelbert Wild gelungen war, dem hohen Niveau der Bergmusik gerecht zu werden.

1952
1952 | In Saverne

Die Grube stirbt

Mai 1957. Die Grube St. Ingbert ist stillgelegt. Sie war weit über das Alter, das man ihr prophezeite, hinaus am Leben geblieben. Ihre Kraft war aufgezehrt, ihr Kohlereichtum im Laufe zweier Jahrhunderte erschöpft. Nur bei der Kleingrube auf der Hubertusanlage war noch der schwache Pulsschlag eines zum Sterben kommenden Grubenbetriebes zu spüren. An Weihnachten des Jahres 1959 war das endgültige Ende der St. Ingberter Grube gekommen. Die neue deutsche Grubenverwaltung setzte den Schlussstrich unter das letzte Kapitel St. Ingberter Grubengeschichte. Damit war auch das Ende der Bergkapelle als offizielle Grubenkapelle gekommen. Die St. Ingberter Bergkapelle war aus dem Bereich der Saarbergwerke ausgeschieden.

1957
1957 | Fronleichnamsprozession

Schicksal der Bergmusik besiegelt?

Sollte man den Saarbergwerken darüber gram sein und ihnen wegen dieser Maßnahme einen Vorwurf machen? Was soll eine Grubenkapelle ohne ihre angestammte Grube? Und was bedeuten in der Hast und Unruhe unserer Tage noch Tradition und ruhmreiche Vergangenheit einer mehr als hundertjährigen Bergkapelle? Die heutige Zeit neigt nicht mehr zum Sentimentalen wie das vergangene Jahrhundert, sie betrachtet alles Gegenwärtige aus der Perspektive der Rentabilität und der Wirtschaftlichkeit. Die St. Ingberter Grube ist nicht mehr. Ihre Tore sind für immer geschlossen. Mit einem Auflösen der Bergmusik wäre ein wesentliches Stück „Alt-St. Ingbert“ für immer verloren gegangen. Der des Öfteren gehegte Wunsch, die Bergkapelle im Rahmen der noch immer bestehenden Unterstützungskasse, aus der die Bergkapelle ja hervorgegangen war, weiterzuführen, konnte nicht verwirklicht werden. Eine finanzielle Mehrbelastung der Unterstützungskasse durch die Bergkapelle wäre auf die Dauer nicht tragbar. Es ist dem Kapellmeister Engelbert Wild zu danken, dass die Bergmusik nach Aufgabe des Grubenbetriebes nicht in sich zusammenfiel. 30 Musiker hielten ihrem Musikmeister die Treue und setzten die Musikproben fort, obwohl keiner wusste, wie es eigentlich weitergehen sollte. Das Schicksal der Bergmusik wurde zum Tagesgespräch des ganzen Kreises. Die öffentliche Meinung war für den Fortbestand der Bergmusik und erwartete, dass in dieser Hinsicht etwas getan werde. Die Saarbergwerke als Eigentümer der Musikinstrumente und Uniformen überließen diese freundlicherweise ihrer einstigen Grubenkapelle zur weiteren Benutzung. Mit dieser Geste der Saarbergwerke war die ehemalige Grubenkapelle ein gutes Stück in ihrer Selbsterhaltung weitergekommen.

1958
1958 | Foto Hönemann

Die Grubenkapelle wird Traditionskapelle

Im Mai 1960 trafen sich im Bergmannsheim etwa 40 Personen zwecks Gründung eines Vereins, der den Fortbestand der aus der Verantwortlichkeit der Saarbergwerke entlassenen St. Ingberter Bergkapelle sichern sollte. Unter den Erschienenen war auch der damalige St. Ingberter Bürgermeister Dr. Saur, sowie der Leiter des städtischen Kulturamtes, Stadt-Oberinspektor Andres. Der „Verein zur Erhaltung der Bergkapelle“ war gegründet, und Oberinspektor Andres wurde der erste Vorsitzende. Am Schluss dieser Gründungsversammlung dirigierte Bürgermeister Dr. Saur den ersten Marsch der nun Vereinscharakter tragenden früheren Bergkapelle. In gleicher bergmännischer Uniform wird sie als Traditionskapelle den Namen der einstigen Bergkapelle beibehalten. Engelbert Wild als Dirigent der alten Bergkapelle hatte sein Ziel erreicht. Er blieb auch weiterhin seiner Kapelle ein verantwortungsbewusster Leiter.

Neue Statute und große Erfolge für den jungen Verein

Im April 1961 rüstete die Kapelle zu einer Konzertreise nach München, wo sie am 1. Mai ihre hochherzige Gönnerin, Frau Elisabeth Koelle-Karmann, zu deren 71. Geburtstag musikalisch beglückwünschte. Mehrere Konzerte in Peißenberg, Penzberg und Hausham riefen viele begeisterte Zuschauer und Zuhörer herbei, die mit lebhaftem Applaus die Männer in schwarzer Uniform begrüßten, die einmal als Bergkapelle des königlichen Steinkohlenbergwerkes St. Ingbert dem bayerischen Staat untertan waren. So wurde die erste Bayernfahrt der Traditionskapelle ein voller Erfolg. Zurückgekehrt von dieser Konzertreise setzte die Kapelle unter Engelbert Wild die Musikproben fort. Im September 1962 trat als neuer Vorsitzender des Vereins Oberinspektor Alois Kraus in Erscheinung. In ihm hat der Verein einen emsigen Vorsitzenden gefunden. Kraus konnte in der Zeit vom 01.10.1962 bis 17.01.1963 zwölfmal die Musikkapelle an verschiedenen Punkten der Stadt einsetzen. Es sei erinnert an das Standkonzert am Kirchweihsonntag vor dem Stadtbad, an ein Konzert im Kulturhaus mit Überreichung der Ehrenmitgliederbriefe, die Teilnahme am Totengedenktag, an Konzerte in Krankenhäusern und im Altersheim. Auch ein Konzert in der Gustav-Clauss-Anlage in Verbindung mit dem Pfarr-Cäcilienchor St. Josef und ein Konzert bei der Brauerei Becker. Die veränderte Situation der ehemaligen Grubenkapelle bedingte auch eine Neufassung der Statuten. Die Statuten der alten Bergkapelle konnten auf die neue, nunmehrige Traditionskapelle keine Anwendung mehr finden. So wurden neue Satzungen ausgearbeitet. Nach deren endgültiger Festlegung konnte der Verein beim Amtsgericht St. Ingbert ins Vereinsregister eingetragen werden. Kapellmeister Wild sah sich im Frühjahr 1963 aus Rücksicht auf seinen angegriffenen Gesundheitszustand gezwungen, die Leitung der Kapelle abzugeben. Um einen Nachfolger brauchte sich die Vereinsführung nicht lange umzusehen. Sie griff den besten aus der Kapelle heraus: Theo Stolz. Ihm, dem vortrefflichen Solo-Trompeter der einstigen Grubenkapelle, wurde die Leitung der Traditionskapelle übertragen.

Ernennung zum Ehrenkapellmeister

Dem langjährigen Dirigenten Engelbert Wild aber wurde eine Ehrung zuteil, wie sie keinem seiner Vorgänger widerfahren war. In Dank und Anerkennung seiner Verdienste um die Erhaltung der Bergkapelle nach der Schließung der Grube St. Ingbert ernannte Vereinsvorsitzender Kraus den letzten Dirigenten der Bergkapelle zum Ehrenkapellmeister. Leider blieb dem verdienten Musiker versagt, seine Kapelle in das Jubeljahr der 125. Wiederkehr ihrer Gründung zu führen. Sein aufs höchste angegriffener Gesundheitszustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Im besten Mannesalter hatte eine schwere Krankheit von seinem Körper Besitz ergriffen. Am Ende stand der Tod, der am 14.11.1963 dem 58jährigen Kapellmeister die Erlösung brachte. Mit ihrem neuen Dirigenten Theo Stolz nahm die Kapelle im Juni 1963 an der 150-Jahr-Feier der Bergkapelle der Schwäbischen Hüttenwerke teil. Außer der St. Ingberter Kapelle, die zugleich Vertreter des Saarlandes und seiner Grubenkapellen war, nahmen noch 54 Kapellen des In- und Auslandes teil. Der St. Ingberter Kapelle wurde bei diesem internationalen Musikertreffen großes Lob gezollt.